Bullshitting ist das Produkt eines Täuschungsversuchs, der die eigene Angriffsfläche — oft nur Unwissen — vernebeln soll und optimalerweise eine bestätigende Wirkung beim Adressaten bewirkt. [1] Der Spiegel-Autor Alexander Demling findet nachempfindbare Beispiele für den alltäglichen Bullshit im Büro: „Wir parlieren über Bestseller, die wir nie gelesen haben. Loben Serien, von denen wir vielleicht einen YouTube-Trailer kennen. Quatschen über Länder, die wir nie besucht, oder Menschen, die wir nie getroffen haben. Viel reden, wenig sagen“.
Das Ziel des Bullshittings ist also eine schöne Fassade während es einem gleichzeitig einerlei ist, wie die Dinge wirklich liegen. Man entledigt sich so bequem der Sorgfaltspflicht. Wem fallen an dieser Stelle nicht Politiker ein? Man muss sie jedoch teilweise in Schutz nehmen. Die Erwartung von Bürgern in Fragestunden und Journalisten in Interviews, dass Politiker zu JEDEM Thema eine Meinung äußern können müssen, ist nicht erfüllbar.
Dann besteht auch das grundsätzliche Problem, dass Politiker im Wettstreit zueinander stehen. Sie vermeiden konkrete Aussagen wie der Teufel, um ja keinen potentiellen Wähler zu verschrecken. Sie können es sich einfach nicht leisten, „unliebsam“ zu erscheinen.
Oder inzwischen doch? Im hervorragenden Video „Arguing over Nothing“ untersucht der YouTuber CounterArguments ob der Politikertypus eines Donald Trumps, diese Regel über den Haufen wirft. Um es kurz zu machen: Nein. Donald Trump nutzt absichtlich missverständliche Aussagen, die von seinen Anhängern positiv ausgelegt werden und von seinen Gegnern negativ. Dadurch entsteht eine Kontroverse. Und der öffentlichen Protest (jedesmal vorhersehbar und in seiner Natur geradezu pawlowschisch) gibt uns die Illusion, dass Trump eine hitzige Debatte angestoßen hat. In Wirklichkeit streitet man aber über Nichts — daher der Name des Videos. Aufzuzeigen, dass wir Menschen zu schnell von Aussagen trotz fehlender Informationen zu Wertungen springen, und dass solche Meinungsbildung über Hohlphrasen ausgenutzt wird, ist ein großer Verdienst dieses 24 minütigen Essays. Bullshitting hat also viele Facetten; keine davon ist lösungsorientiert oder wissenschaftlich fundiert.
Nun kann man nicht gerade sagen, dass die Politiker wissenschaftliche Argumente komplett ignorieren. Sie nutzen sie trotzdem als Grundlage der Politik, weil sie per se nützlich sind. Selbst für Politiker, für die Bullshitting ein legitimes Mittel ist — für uns nämlich nicht —, ist es wichtig, das Bullshitting nicht zu kultivieren. Ansonsten wird man blind gegenüber realen Lösungen und verliert die Fähigkeit Teil eines ungleichen Teams zu sein. Was hält Koalition denn sonst zusammen außer der kleinster gemeinsame Nenner in der Form eines konkreten „wirklichen“ Zieles?
Als Teilzeitidealist hat man Größeres im Sinn. Ich möchte im folgenden eine Vision vorstellen.
- In 2029 werden eigensinnige Meinungen gesellschaftlich belohnt, nicht bestraft. Wir haben dann indem wir mit gutem Beispiel vorangehen ein Klima geschaffen, in dem Leute des öffentlichen Lebens nur noch zitiert, nicht mehr durch den medialen Fleischwolf gedreht werden. (Bsp. Steffen Kretschmer)
- Jedes einzelne Vorkommnis von Doppelsprech von Politikern (wie hier dargestellt), eine Unterform von extremen Bullshitting, wird von der Öffentlichkeit nicht toleriert.
- Am wichtigsten ist jedoch, dass dort, wo es möglich ist, dem Bullshit einfach die Grundlage entzogen wird. Das System soll; nur weil nichts gegen das Unwissen getan wurde!
Der letzte Punkt packt den realen Irrsinn an, den man immer wieder erlebt. Wer sich fragt, warum so viel Steuergeld hier und wonanders verschwendet wird, der findet bei extra 3 die Antwort.
Ausgerechnet aus der Welt der klinischen Forschung am Menschen gibt es einen Wirkstoff gegen Bullshit. RCTs, Randomisierte kontrollierte Studien. Sie werden dort als Goldstandard gehandelt. Das Herzstück von RCTs ist die rein zufällige Einteilung in behandelte Gruppen und Kontrollgruppe, welche beide gleichermaßen beobachtet werden. Dies kann ohne weiteres auf viele staatliche Progamme übertragen werden.
Die einzuführende Regel ist: Staatsausgaben für Verbesserungen der Lebensituationen sollen grundsätzlich nur dann getätigt werden, wenn ihre Wirkung mit der Methode der Randomisierten kontrollierten Studie überprüft wird.
RCTs funktionieren nicht in allen Feldern, aber entkoppelt Steuergeld von Wahlgeschenken, Lobbyismus (unser Herzensthema) und Ideologie. Auch diese Idee ist bequemerweise in einem YouTube-Video von nerdwriter1 erklärt: Why So much Tax-Money is wasted.
Es gibt keine Alternative dazu, Entscheidungen wissenschaftlich fundiert zu treffen. Jeder kann sich einfach selbst den Kampf gegen den eigenen Bullshit führen und so unsere politische Arbeit dagegen impfen. Mir sind insbesondere wissenschaftliche und literarische Verweise in unseren Positionspapieren wichtig. Dazu gehört, dass wir die Quellen diskutieren, verstehen und gewissenhaft zitieren. Etwas durch Hörensagen zu untermauern ist einfach nicht genug!
Wenn wir uns solche Sorgfalt nur ein wenig mehr zu Herzen nehmen würden, könnten wir endlich in der Politik, auf der Arbeit und in unseren Beziehungen aufhören, über eigentlich nichts zu streiten.
Eric Andersen
[1] Harry G. Frankfurt: On Bullshit. Princeton University Press, Princeton, New Jersey 2005, ISBN 0-691-12294-6