In dem Artikel „Das Trauma der deutschen Einheit“ in der FAZ geht Rainer Hank den Gründen nach, warum die Ostdeutschen denken, dass die Wiedervereinigung wirtschaftlich nicht funktioniert hätte. Zitat:
Rainer Hank: Schock und Trauma des Systemwechsels wären nicht zu vermeiden, so fatalistisch es klingen mag.
Woran das liegt? Es könnte damit zusammenhängen, dass es in einer Marktwirtschaft keine „objektiven“ Werte gibt. […]
Plötzlich waren die Fabriken und die DDR-Produkte nichts mehr wert. Niemand, auch niemand in Osteuropa und selbst in den neuen Bundesländern, wollte noch einen Trabant kaufen, den zugeteilt zu bekommen kurz vorher noch ein großer Wert gewesen wäre. An der objektiven Beschaffenheit des Trabant hatte sich nichts geändert. Trotzdem war er wertlos geworden.
Selbst wenn die ostdeutschen Fabriken nicht so abgewirtschaftet gewesen wären, wie sie es waren, hätten sie trotzdem keinen Wert mehr besessen. Sein Artikel endet mit einer Feststellung, dass man damals einen anderen Blickwinkel gebraucht hätte, aber es sowieso langsam mit der DDR zu Ende gehen musste:
Rainer Hank: Es kommt nicht auf Kapital und Transfers an, es kommt auf Ideen an. Aber wer hätte für diese Erkenntnis weitere 30 Jahre Sozialismus in Kauf nehmen wollen?
Im Kommentarbereich sticht ein Thread, begonnen von „suedbadener“, hervor. Er weist darauf hin, dass es durchaus Know-How und vereinzelt auch Qualitätsprodukte in der DDR gab, trotz der ungleichen Ausgangssituation im Vergleich zum Westen. Er macht die Treuhand für den Niedergang der 90er-Jahre verantwortlich und steht damit nach Darstellung von Hank auf der Seite der meisten Ostdeutschen. Hank war im Artikel der Meinung, dass die Rolle der Treuhand verklärt wird. Dem widerspricht suedbadener:
suedbadener:
Die „fehlenden Ideen“ der DDR haben wir bei Quelle gekauft…
Mit Verlaub, z.B. meine „Revue“-Spiegelreflex-Kamera aus DDR-Produktion, gekauft bei Quelle 1982, funktioniert heute noch – das Digital-Foto-Zeitalter begann erst 20 Jahre später. Die K-Bajonett-Objektive in erstklassiger Qualität passen auch heute noch auf modernste Digitalkameras. „Privileg“-Waschmaschinen, Kühlschränke, Werkzeuge, Bekleidung…
Ja, der größte Teil der DDR-Wirtschaft arbeitete auf uralten Maschinen – aber die Ideen in den Köpfen und Plänen der top ausgebildeten Ingenieure, die waren vorhanden und gut.
Die Ossis standen zweimal im Regen: Nach dem Krieg waren sie die, die Reparationen leisteten, während die BRD von den USA gepäppelt wurden. Die „SBZ“ war vom Rohstoffembargo der USA stranguliert, während der „sozialistische große Bruder“ sie zur Ader ließ.
Und die Treuhand machte kaputt, was die Russen übrig gelassen hatten. –
Die Realität ist doch etwas komplexer als „Hanks Welt“
Es gab eine Reihe von Antworten darauf. Herheb stimmt zu und nennt ein paar gelungene Ansätze der DDR-Ökonomie, die bis heute ausstrahlen.
Herheb:
Im Verkehrsmuseum Dresden kann man einen Wartburg mit Fließheck als Prototypeinen sehen, gebaut in den sechziger Jahren, lange vor Golf & Co. Und den einzigen 1- MB- Schaltkreis von Deutschland (das ist der, über den so viel von denen gespottet wurde, die selber die Dinger nur aus USA oder Asien bezogen haben), hat eine kleine Gruppe ostdeutscher Ingenieure (ZMD) in Tag- und Nachtarbeit entwickelt, um das Embargo zu brechen. Es hat schon seinen Grund, dass viele namhafte Halbleiterfirmen nach der Wende nach Dresden gezogen sind. Die EX- DDR mußte (!) ihre Wirtschaft an die Bedürfnisse der russischen Besatzer ausrichten und als die Russen am Ende waren und ihre Rechnungen nicht mehr bezahlt haben. 7,5 Mrd. Euro Schulden, von denen Schröder Putin sieben Mrd. 2004 beim Besuch erlassen hat, waren für das kleine Land viel Geld. Und da hat man angefangen, seine hochwertigen Konsumgüter zu Dumpingpreisen zu exportieren und die Geschäfte wurden leerer und leerer – der Anfang vom Ende…
Der Nutzer freier.buerger ist mit den Aussagen von OP nicht ganz einverstanden.
freier.buerger:
Wovon reden Sie denn konkret?
1. Den Soli zahl(t)en alle, auch die Ossis!
2. Die meisten Milliarden, die in den Osten flossen, gelangten in aufgekaufte (teilweise für 1 Mark) Betriebe, also in westdeutsche und ausländische Unternehmen.
3. Die Transfers aus den Sozialkasten des Westens in den Osten flossen wieder zurück. Die Ostler haben doch faktisch alles wieder ausgegeben (weder in die berühmten Ost-Produkte noch in DL-en Made in East-Germany).
4. Wieviel haben Sie denn damals für Ihr Privileg-Kühlgerät gelöhnt, 135-150 M?Eine beachtliche Anzahl von Industrien ist in ganz Deutschland verschwunden, haben Sie es noch nicht gemerkt?
Investitionen sollten stets langfristig angelegt sein. Was hätte es für einen Sinn gemacht, in ein Kamera-Werk zu investieren, das 10 Jahre später liquidiert würde.
Heutzutage hat das Smartphone die Kamera im Massenmarkt ersetzt, praktisch ein technologischer Sprung, den die Ost-Ingenieure ganz bestimmt nicht im Plan hatten.
Daraufhin reagiert OP.
suedbadener:
Der Anschluss war von Pentax, das Objektiv aus dem Osten
Autofokus begann in den 80er Jahren, war aber keineswegs Standard.
Und eine fancy Elektronik allein macht noch keine gute Kamera. –
Was die Reparationen anbetrifft: Die Industrie im Westen war nach dem Krieg und nach den Reparationen noch über dem Stand von 1936.
Nein, die Ossis hatten die 2 auf dem Rücken, und zwar mehrmals. –
Darüber hinaus: es geht nicht darum, ob die DDR-Wirtschaft hoch-innovative Knaller produzierte!
Es geht um das vorhandene Potential, um Deindustrialisierung und ihre gravierenden Folgen, und ob die Billion, die rübergeflossen ist, nicht sinnvoller und fairer hätte eingesetzt werden können.
Das Problem, nein die Sauerei, ist doppelt: Einerseits haben die Steuerzahler im Westen, v.a. der Mittelstand, für den Osten den Soli abgedrückt, andererseits wurde das Geld miserabel eingesetzt.
Wenn es noch einen Beweis für das Scheitern des Neoliberalismus bräuchte, die Treuhand hat ihn geliefert!
Und interessant wäre schon, wer auch noch „bedacht wurde“…
Der Nutzer „Karl_Rotte“ korrigiert:
Karl_Rotte:
Das K-Bajonett ist eine Entwicklung von Asahi Pentax Und meine Contax von 1940 funktioniert immer noch besser als alle meine 60er-Jahre Exaktas zusammen. Und auch Meyer-Optik, Zeiss oder Rodenstock aus dem Kaiserreich wirft auch heute noch einen scharfen Punkt auf einen Digitalsensor. Damit macht aber keine dieser Firmen einen Cent in der aktuellen Bilanz.
Übrigens haben sich „die Russen“ auch in den westlichen Zonen bedient – Opel verlor die beste Linie, aber Rüsselsheim ging nicht unter. Die Kunden wollten seit den 70er Jahren Elektronik und Battteriekram. Uhrwerkverschlüsse können noch so dauerfest sein – wenn zehntausend Kunden was anderes kaufen, als das, was Sie ihnen hinhalten, dann schließen Sie am Ende des Monats die Firma. Die Prakticas waren allein über den Preis an den Mann zu bringen, und der war im Westen künstlich niedrig – lieber eine Handvoll Devisen als Säcke voll Alu-Chip.
Die Kombinate gingen dahin, weil nicht genügend Kunden ihre Waren freiwillig gekauft haben. Wieviele Prakticas haben Sie persönlich gekauft?
Ich persönlich weiß nicht, wie viele Prakticas suedbadener gekauft habe, aber in meinem ostdeutschen Elternhaus befindet sich zumindest eine. Solche rhetorischen Detailfragen bringen uns meiner Meinungen nicht weiter, weswegen ich hier die Wiedergabe beende.
Die Bewertung der DDR-Produkte und -Fabriken gehört meiner Ansicht nach in einen politischen Kontext, den Artikel und Kommentare bisher ausgespart haben. Zur Zeit der Wiedervereinigung wurde der Vorschlag, die Eigentumsrechte an Ostdeutsche zu verteilen am Runden Tisch einstimmig angenommen. Als Kann-Ziel schaffte die Idee von den Anteilsscheinen es sogar in den deutschen Einigungsvertrag. Die westdeutschen Politiker waren jedoch der Meinung, es gäbe gar keine Anteile zu verteilen, da die gesamte Wirtschaft marode wäre. Wie die Lesediskussion gezeigt hat, stimmte das pauschal nicht. Prof Werner Sinn bringt die Absurdität dieser grandiosen Fehlentscheidung in der Doku „Wer braucht den Osten. (Teil 2 Wirtschaft)“ auf den Punkt. Im Einigungsvertrag wäre zuallererst gar nicht festgelegt, dass die Wertigkeit vorher geprüft werden müsse.
Prof. Werner Sinn: Man kann auch verbriefte Anteilsrechte an Schrott verteilen. Ob das dann Schrott gewesen wäre oder nicht, hätte man später sehen können. Ich glaube, es wäre kein Schrott gewesen.
Mit einer zurückhaltenden Lohnpolitik hätte es weltweit Investoren gegeben, die die Treuhandbetriebe gerne mit übernommen hätten um mit ihren Produkten, ihrem Marktwissen dort etwas aufzuziehen.
Dann wäre es eigentumsrechtlich viel besser gelaufen und — vor allem — es hätte Jobs gegeben.
Der Osten hätte Politiker und Unternehmer gebraucht, die das Potential, die Motivation, die Kraft und den Einfallsreichtum der Ostdeutschen nutzen. Letztere wurden leider ausgebremst, wie die Doku zeigt.
Wir brauchen auch heute derartige Menschen, um die Fehler der Vergangenheit auszubügeln.
Eric Andersen